"Unser Ziel ist eine gemeinsame Führungsphilosophie"

Unser Ziel ist eine gemeinsame Führungsphilosophie

Im Zuge ihrer Restrukturierung hat die Energie und Wasser Potsdam GmbH (EWP) ihre Führungsebene neu ausgeschrieben. Das Besetzungsverfahren endete im Frühjahr und brachte einige Veränderungen mit sich. Wir haben mit dem Bereichsleiter Unternehmens- und Organisationsentwicklung Knut Bergmann über die Hintergründe und unsere Zusammenarbeit gesprochen.

Interview: Anja Dehghan • 27.05.2021

betterHR: Was waren die Beweggründe für die Umstrukturierung, die diese Führungskräfteauswahl nach sich gezogen hat?

Knut Bergmann: Hintergrund war, dass der Gesetzgeber vor einigen Jahren die Trennung von Versorgungsunternehmen in einen vertrieblichen und einen netzwirtschaftlichen Teil beschlossen hat. Das Energiewirtschaftsgesetz regelt, dass Energielieferanten ihre Energien (Strom und Gas) diskriminierungsfrei über alle Netze an Endkunden vertreiben können (auch wenn diese anderen Energieversorgern gehören). Um dieser Anforderung gerecht zu werden, gründeten Energieversorger sogenannte Netzgesellschaften, die den diskriminierungsfreien Netzbetrieb abwickeln. Für die Ausgestaltung dieser Netzgesellschaften gab es von Seiten des Gesetzgebers verschiedene Regelungen, wie man diese Netzgesellschaften ausprägen kann. Die EWP hatte im ersten Schritt – wie viele andere Stadtwerke – eine eher minimalische Ausprägung gewählt. Mittlerweile hat sich die Regulierungspraxis der Bundesnetzagentur aber so verändert, dass die seinerzeit gewählte Organisationsform einfach nicht mehr zeitgemäß ist und wir nun einen vollumfänglichen großen Netzbetreiber ausprägen. Diese Änderung führt unter anderem dazu, dass ein wesentlicher Teil der Belegschaft von der EWP in die Netzgesellschaft übergehen soll. Vor dem Hintergrund dieser großen Veränderungen haben wir beschlossen, unsere Strukturen insgesamt noch einmal zu überdenken und auch unsere Führungsstruktur zu überprüfen. Im Ergebnis haben wir festgestellt, dass unser Organisationsmodell eigentlich nicht mehr richtig zur künftigen Aufgabenwahrnehmung passt und dass wir die Aufbauorganisation insgesamt überarbeiten müssen, um letztendlich in beiden Organisationen mit einer zeitgemäßen Organisations- und Führungsstruktur starten zu können.

betterHR: Was waren im Vorfeld die größten Herausforderungen bei dieser Neubesetzung?

Knut Bergmann: Ich glaube, die größte Herausforderung war tatsächlich die Frage, wie wir den Prozess der Neubesetzung dieser Führungspositionen genau definieren. Beschränken wir uns ausschließlich auf Bereiche, in denen es sehr große Veränderungen geben wird? Oder bedarf es vielleicht gar keines Verfahrens und wir verlassen uns, salopp gesagt, auf unser Bauchgefühl bei der Besetzung? Wir haben sehr intensiv im Führungskreis und mit dem Betriebsrat diskutiert und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir uns ein sehr faires und sehr transparentes Verfahren wünschen, in dem wir im Grunde genommen alle Führungspositionen unterhalb der leitenden Angestellten zur Disposition stellen. Leitgedanke des Besetzungsverfahrens war es nicht nur Beschäftigten, die bereits Führungspositionen innehaben, sondern auch allen anderen die Möglichkeit zu bieten, mehr Verantwortung in der Organisation zu übernehmen.

Leitgedanke war, allen die Möglichkeit zu bieten, mehr Verantwortung in der Organisation zu übernehmen.

betterHR: Welche Anforderungen an das Verfahren waren damit verbunden?

Knut Bergmann: Unser Anliegen war, das Verfahren möglichst fair und transparent zu gestalten. Die wichtigste Frage für uns war, wie wir ein Verfahren aufsetzen, das einerseits die besten Kandidaten für die entsprechenden Rollen identifiziert, aber andererseits möglichst wenig Schaden verursacht. Uns war klar, es wird immer diejenigen geben, die sich durchsetzen und andere eben nicht.

Wie gelingt es uns, dass sich am Ende alle wertgeschätzt und fair behandelt fühlen?

Auch wenn nicht alle Bewerber im Ergebnis des Verfahrens die gewünschte Rolle bekommen haben, sollten sie sich einbringen können und sicher sein, weiterhin gern im Unternehmen zu bleiben.

betterHR: Hatte denn das Pandemie Thema Auswirkungen auf die Durchführung des Verfahrens?

Knut Bergmann: Wir mussten das Auswahlverfahren unter besonderen Hygienebedingungen durchführen. Das heißt, wir brauchten besonders große Räume, so dass wir Abstandsregeln tatsächlich auch einhalten konnten. Gespräche mussten mit entsprechenden Schutzvorkehrungen wie zum Beispiel Masken geführt werden. Das war zum Teil eine zusätzliche Herausforderung in einer ohnehin für einige Kandidaten etwas schwierigen oder ungewohnten Situation.

Es waren Kollegen und Kolleginnen dabei, die haben wahrscheinlich seit 20 Jahren kein Bewerbungsgespräch mehr geführt.

Insgesamt ist eine Restrukturierung dieser Größenordnung in einer Zeit, in der man persönlich nicht zusammenkommen kann, natürlich eine besondere Herausforderung. Wir haben am Anfang mit dem Gedanken gespielt, die Auswahlgespräche online durchzuführen, haben uns dann aber doch für Präsenztermine entschieden, weil das Unternehmen digitale Zusammenarbeit noch nicht ganz so gewohnt ist. Das Verfahren als solches war eh schon sehr mutig, so dass wir dann doch auf persönliche Gespräche gesetzt haben. Wir haben dann aber die Feedbackgespräche digital durchgeführt und das hat sehr gut funktioniert.

betterHR: Was war so mutig an dem Verfahren?

Knut Bergmann: Die Überprüfung der gesamten Führungsmannschaft, das war schon ein sehr mutiger Ansatz, weil dadurch alle Kolleginnen und Kollegen ihre Positionen zur Disposition stellen. Und viele Führungskräfte haben ja vorher einen guten Job gemacht. Das hat natürlich im Vorfeld zu viel Gesprächsbedarf geführt, weil Kolleginnen und Kollegen gefragt haben: „Ich habe doch hier die letzten 10 Jahre eine gute Arbeitsleistung gezeigt, die ist auch immer von allen Seiten wertgeschätzt worden. Und auf einmal muss ich mich jetzt quasi auf meine eigene Stelle bewerben?“. Das hat schon den einen oder anderen nicht unbedingt glücklich gestimmt. Da hat es uns ein Stück weit geholfen, dass wir entschieden hatten, das Verfahren von Anfang an über alle Ebenen hinweg durchzuführen. Es wurde also nicht nur ein Teilbereich zur Disposition gestellt, sondern alle Führungspositionen.

Es wurde die gesamte Führungsmannschaft zur Disposition gestellt.

Außerdem haben wir das Momentum dazu genutzt, jedem die Chance zu geben für sich noch einmal genau zu reflektieren, ob eine Führungsposition in der neuen Struktur nach wie vor das Richtige ist. So haben wir das Verfahren im Vorfeld auch immer erklärt. Alle sollten für sich noch einmal überprüfen: „Will ich diese neue Position in der Form übernehmen?“. Das Verfahren wurde so aufgesetzt, dass wir potenzialorientiert vorgehen konnten. Wir wollten es auch dazu nutzen, den Kolleginnen und Kollegen ein paar Punkte an die Hand zu geben – zum Teil auch mit externer Unterstützung – um ihr eigenes Führungsverhalten weiterzuentwickeln. Dieser Fokus auf die Entwicklung war uns besonders wichtig

betterHR: Was sind denn die größten Erkenntnisse, die sie aus dem Verfahren gezogen haben?

Knut Bergmann: Wir haben zunächst mal einen guten Überblick darüber bekommen, wo unsere Führungskräfte in den einzelnen Bereichen tatsächlich stehen. Das ist eine gute Basis, an der wir unser Personalentwicklungskonzept ausrichten.

Von betterHR haben wir zu jeder Führungskraft Handlungsempfehlungen bekommen, die wir aktuell in ein Personalentwicklungskonzept übersetzen.

So können dann alle Führungskräfte individuell gefördert werden. Aber wir haben auch ein paar schöne Nebeneffekte erzeugt. Dadurch, dass in der Bewerbungsphase auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Hut in den Ring geworfen haben, die vorher noch keine Führungsfunktion innehatten, konnten wir zusätzlich auch neue Potenzialträger identifizieren.

Mithilfe des Verfahrens konnten wir auch neue Potenzialträger identifizieren.

Es haben sich also auch Kolleginnen und Kollegen durchgesetzt, die niemand wirklich auf dem Schirm hatte. Und diese Personen haben sich dann vor der übergeordneten Führungskraft und dem Betriebsrat, der ja an den Verfahren beteiligt war – aber natürlich auch mit Unterstützung von betterHR – positioniert. So konnten wir erkennen, da ist jemand mit Potenzial, der möchte den nächsten Schritt gehen und der hat auch eine Chance. Das war eine sehr gute Sache. Damit konnten wir auch das eine oder andere Nachfolgeproblem angehen. Auch hat der eine oder andere für sich entschieden, gar nicht mehr unbedingt weiter eine Führungsposition besetzen zu wollen und stattdessen eine Nachfolge für sich aufzubauen.

betterHR: Gab es auch den anderen Fall, dass jemand durchaus seine Position weiter besetzen wollte, sich aber im Laufe des Verfahrens herausstellte, dass jemand anderes eigentlich besser geeignet wäre?

Knut Bergmann: Nicht alle konnten sich im Verfahren durchsetzen. Und das war natürlich für den einen oder anderen nicht unbedingt einfach, mit dieser Besonderheit klarzukommen. Nämlich, dass sie nicht die Position wiederbekommen haben, die sie vorher innehatten, sondern zukünftig eine andere – natürlich trotzdem sehr wesentliche – Funktion im Unternehmen einnehmen. Und auch da haben wir eine gute Regelung gefunden, weil es sich hierbei in den meisten Fällen um ganz hervorragende Spezialistinnen und Spezialisten auf ihren Gebieten handelt. Sie haben weiterhin verantwortungsvolle Positionen im Unternehmen. Nur eben die disziplinarische Führungsverantwortung, die vorher Teil der Rolle war, geht an jemanden anderen über. Wir sagen also, es gibt Spezialfunktionen, die brauchen wir im Unternehmen, aber das ist nicht immer automatisch die Führungskraft.

Es gibt Spezialfunktionen im Unternehmen, die wir dringend brauchen. Das ist nicht immer die Führungskraft.

betterHR: Wie geht es denn bei Ihnen jetzt weiter nach diesem Verfahren?

Knut Bergmann: Das Auswahlverfahren war ja nur ein Teilaspekt der Restrukturierung, in der wir unsere neue Organisationsstruktur umgesetzt haben. Jetzt geht es darum, das Projekt weiter voranzutreiben, so dass in diesem Jahr der eigentliche Übergang der Kolleginnen und Kollegen von der EWP – also von der Muttergesellschaft – in die Netzgesellschaft vollzogen werden kann. Und es geht um die Frage, wie gehen wir mit den frisch ausgewählten Führungskräften weiter um? Mit dem Personalauswahlverfahren haben wir die Basis für unser Führungskräfteentwicklungsprogramm. Wir stimmen aktuell ab, wie wir dieses Entwicklungskonzept individuell über die nächsten zwei Jahre umsetzen. Also welche Trainings wir anbieten, welche Unterstützungsmöglichkeiten wir schaffen, damit die Kolleginnen und Kollegen ihre Rolle optimal erfüllen können. Und wir wollen dieses Momentum auch nutzen, um unsere Führungsphilosophie nochmal ein Stück weit zu schärfen.

Wir wollen ein gemeinsames kulturelles Verständnis entwickeln.

Unser Ziel ist es, im Unternehmen mittelfristig eine gemeinsame Führungsphilosophie zu etablieren. Die verschiedenen Führungsverantwortlichen haben natürlich unterschiedliche Voraussetzungen. Gerade junge Kolleginnen und Kollegen, die gerade erst gestartet sind, bekommen eine andere Unterstützung als diejenigen, die schon sehr lange im Job sind. Aber hinter allem steht ein ähnlich gelagertes Mindset. Aktuell erarbeiten wir hierfür eine Vorgehensweise, die alle Maßnahmen gut ineinandergreifen lässt und auch unsere Führungsriege etwas enger zusammenbringt. Wir wollen unsere Führungskräfte aktiv weiterentwickeln, als Ganzes aber auch jeden Einzelnen punktuell an Stellen, wo es notwendig ist. Und dabei gemeinsam das Ziel vor Augen haben: Wo wollen wir perspektivisch hin? Was ist unser kulturelles Verständnis?

betterHR: Wenn Sie jetzt noch einmal einen Blick zurück auf das Verfahren werfen: Was würden Sie anders machen?

Knut Bergmann: Ich glaube, wir hätten uns im Leitungsteam anfangs die eine oder andere Stunde mehr Zeit nehmen sollen, um die Grundsätze noch stärker zu diskutieren und uns über die entscheidenden Fragen zu verständigen. Wie genau gehen wir vor? Was sind die möglichen Konsequenzen? Wir haben im Laufe des Verfahrens doch immer wieder gemerkt, dass es zu bestimmten Punkten teilweise sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt und so mussten wir das eine oder andere Thema noch einmal nachjustieren. Dazu waren dann immer noch mal übergreifende Runden notwendig, um ein gemeinsames Verständnis wieder herbeizuführen. Das würde ich beim nächsten Mal etwas anders machen, so dass man sich der ganzen Dimensionen noch mal stärker bewusst wird

„Was bedeutet so ein Verfahren mit allem Glanz aber auch mit allen Schattenseiten, die da entstehen?“.

Dass es auch „Verlierer“ geben wird, auf die wir uns besonders im Anschluss an das Verfahren stark konzentrieren müssen. Wir haben das im Nachgang alles ganz gut hinbekommen. Das ist auch gar nicht der Punkt. Ich glaube aber, dass die eine oder andere Diskussion am Anfang hilfreich gewesen wäre, um uns nachher diese Adjustierungen – die manchmal auch Kraft gekostet haben – zu ersparen. Vielleicht wären die aber trotzdem gekommen. Das ist ein bisschen das Problem von großen Veränderungsthemen, dass man das, was passiert nur mittelbar planen kann, also doch auch immer ein Stück weit reagieren muss. Aber frühzeitig genau zu überlegen, welche Auswirkungen hat das, was wir tun bei den einzelnen Stakeholdern, hätte insgesamt sicher geholfen.

betterHR: Vielen Dank Herr Bergmann. Möchten Sie noch etwas ergänzen?

Knut Bergmann: Vielleicht eine Sache: Das war eine enorme Hilfe von Ihrer Seite. Es ist ein Stück weit der Professionalität geschuldet, mit der dieses Verfahren aufgesetzt worden ist, dass es so gut angenommen wurde, und auch allgemein so gut angekommen ist, insbesondere beim Betriebsrat, der ja dem Verfahren am Anfang eher kritisch gegenüberstand. Insbesondere was die Gesprächsführung, auch die Feedbackgespräche angeht, hat die professionelle Umsetzung dazu geführt, dass das Verfahren, obwohl es schwierig war, von allen als fair betrachtet wurde. Und das hat dazu beigetragen, dass dieser doch schwierige Schritt bei uns im Haus nun insgesamt positiv besetzt ist.

Mehr zu unseren Beratungsleistungen gibt es hier: www.betterhr.de

Photo Credit: mohamed_hassan