Remote Interview – Verlässliches Instrument oder Katze im Sack

Remote Interview – Verlässliches Instrument oder Katze im Sack?

Rekrutierung ist trotz Krise ein Thema, das viele Unternehmen weiterhin beschäftigt. Aber wie soll man jemanden einstellen, den man nicht persönlich treffen darf? Können Video-Interviews und digitale Tools das persönliche Gespräch ersetzen? Wie verlässlich ist so eine Einschätzung auf Distanz?

Jens Bäumer • 08.04.2020

Drei Jahre lang hat das Thema Rekrutierung die Agenda von HR beherrscht. Der Fachkräftemangel war allgegenwärtig und Unternehmen buhlten um die Gunst der Bewerber im war for talents. Seit etwas mehr als drei Wochen hat sich das Bild komplett gewandelt. Die meisten Unternehmen, denen es möglich ist, schicken ihre Mitarbeiter zum Arbeiten nach Hause. Viele mussten Kurzarbeit beantragen. Jetzt steht Krisenmanagement an erster Stelle und die HR Arbeit bleibt auf das absolut Notwendige beschränkt. Und dennoch gibt es viele offene Stellen, die besetzt werden müssen.

Der erste Eindruck zählt

Aber wie können wir neue Leute an Bord nehmen, ohne sie vorher im persönlichen Gespräch kennenzulernen ? Wie können wir trotz der Distanz Sicherheit bei der Personalauswahl gewinnen? Ist das überhaupt möglich? Im persönlichen Gespräch wollen wir ein möglichst authentisches und ganzheitliches Bild von einem Kandidaten bekommen. Persönliches Auftreten, Händedruck, Gerüche, Stimme und vieles mehr liefern uns – mehr oder weniger – verlässliche Informationen darüber, was wir den ersten Eindruck nennen. Er entscheidet häufig über Sympathie oder Antipathie.

So wertvoll dieser erste Eindruck auch ist, er kann unsere Wahrnehmung im Laufe des Interviews auch verzerren. Allzu gern lässt man sich von Äußerlichkeiten beeinflussen. Aber auch wenn wir um diese typischen Wahrnehmungsfehler – wie zum Beispiel den Halo oder Horn Effekt – wissen, können wir sie nicht immer gänzlich ausschalten.

Konzentration auf das Wesentliche

Bei remote Interviews ist das einfacher. Ich habe in der Vergangenheit unzählige Interviews dieser Art geführt und dabei das Gefühl entwickelt, dass ich vorurteilsfreier an den Kandidaten herantreten kann. Oben genannte Effekte, die man sonst mühsam ausblendet, kommen gar nicht erst zum Tragen. Es fehlt schlicht an Eindrücken. Ich kann mich viel stärker auf das konzentrieren, was mir der Kandidat erzählt.

Bereits vor zwei Jahren haben wir mit betterHR in einer Projektpartnerschaft mit dem August Wilhelm Scheer Institut in Saarbrücken die Vorteile von remote Interviews herausgearbeitet. Dazu zählt neben zeitlicher und räumlicher Unabhängigkeit, einer Gesprächssituation in vertrauter Umgebung auch nachweislich die Reduktion von Bias.

Tipps für eine möglichst natürliche Gesprächssituation

Es gibt allerdings auch ein paar Dinge zu beachten, die entscheidend sind für das Gelingen von Einstellungsinterviews per Video. So sollte die Kamera auf Augenhöhe platziert sein, um den Blick „von oben herab“ zu vermeiden. Das bedeutet in den meisten Fällen, dass der Laptop oder Computer ein wenig erhöht werden muss. Ein Gespräch per Video erzeugt zunächst eine etwas größere Distanz als ein persönliches Treffen. Diese lässt sich leicht aufbrechen, indem man zum Beispiel einen lockeren Einstieg in das Gespräch wählt, um das Gegenüber nicht zu stark zu verunsichern.

Online Referenzen vervollständigen das Bild

Trotz aller Vorteile von remote Interviews fehlen uns Informationen, um einen Bewerber sicher einschätzen zu können, denn ganz ersetzen können wir das persönliche Gespräch dadurch nicht. Einen entscheidenden Beitrag liefern persönliche Referenzen. Mittlerweile gibt es auch hier wertvolle Tools, die das Einholen erleichtern und Telefongespräche nach Feierabend mit ehemaligen Führungskräften überflüssig machen. Queference ist so eine online Plattform, die anonymisiert Referenzen der Bewerber einholt. Das hat den Vorteil, dass die Einschätzungen weniger gefiltert erfolgen als zum Beispiel bei der persönlichen Anfrage am Telefon. Außerdem ist die Bereitschaft höher, einen Online Fragebogen auszufüllen, als nach Feierabend noch Gespräche mit Recruitern zu führen. Die aktuelle Situation sorgt dafür, dass die Akzeptanz solcher Tools steigt, da immer mehr Prozesse digital abgebildet werden.

Wenn wir also ein paar Dinge beachten und ergänzende Tools zu Rate ziehen – auch Case Studies können ein Video Interview eingebunden werden – lassen sich mit remote Interviews durchaus verlässliche Einstellungsentscheidungen treffen.

Wenn Sie auf der Suche nach weiteren Informationen zu Digital Assessments sind, besuchen Sie unsere Website: betterhr.de

Photo Credit: Marten Newhall on Unsplash